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Galaterlektüre am Großen Altar von Pergamon

Kahl, Brigitte W.

Der Grofte Altar von Pergamon, errichtet von der Dynastie der Attaliden urn 170 v.Chr., ist ein Bauwerk von atemberaubender Schonheit. Kein Besucher kann sich seinem Zauber entziehen. Er ist zugleich das Monument einer herrschenden Weltordnung - und eines vorzeitlichen Ur-Krieges. In vielgestaltigen Kampfszenen von hochster kiinstlerischer Perfektion zeigt der Grofie Fries an der Aufienseite des Altars die Gotterwelt im Kampf gegen die von unten angreifenden Giganten. Die Gottheiten der Oberseite kampfen mit vollem Einsatz, dennoch diszipliniert und sichtlich siegreich, wahrend sich ihre Gegner an der Unterseite in alien Posen des Sterbens und Todes prasentieren: durchbohrt, mifthandelt, zerhackt und niedergetreten von der gottlichen Macht. Die Haare der besiegten Giganten sind wirr und wild, ihre Korper nackt, Zorn und Verzweiflung stehen in ihren Gesichtern. Die Gelassenheit und Beherrschtheit der Haltung, die bis ins Detail kultivierte Asthetik der Gewander, die ihre triumphalen Bezwinger als uberlegen und zivilisiert kennzeichnen, sucht man bei ihnen vergeblich; einige von ihnen tragen tierhafte Merkmale wie Schlangenbeine oder Vogelkrallen. Wer die Bilder zu lesen versteht, empfangt eine eindeutige Botschaft: Es ist ein Hei- liger Krieg, der da vor unseren Augen tobt, Zivilisation im Kampf gegen Barbarei. Die Ordnung der Welt und des ganzen Kosmos steht auf dem Spiel. Gesetz halt stand gegen Gesetzlosigkeit, Kultur gegen das Wilde und Niedere, und es ist sakrosankte Gewalt, die das gottliche »Oben« gegen den Ubergriff und die Grenziiberschreitung von unten verteidigt. Mit diesem Bildprogramm spiegelt der Grofie Altar zugleich die »grofie Erzahlung« im Urgestein und Unterbau der abendlandischen Zivilisation (vgl. die ausgewahlten Bilder vom Grofien Altar auf den Tafeln A-D).

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October 26, 2012